Eine Gratwanderung – Die Visualisierung eines Ofens vom Typ Tannenberg

Wie schwierig das Erstellen einer schlüssigen und in sich stimmigen Rekonstruktion sein kann, zeigt sich an der Visualisierung eines Ofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg. Der mit der Nutzung als Raumheizung einhergehende Verschleiß1 und die Plazierung der Öfen in repräsentativen Räumen, die im ausgehenden 14. Jahrhundert fast immer in den oberen Stockwerken eines Gebäudes zu verorten sind,2 hatte zur Folge, daß kein einziger, auch nicht in Teilen, auf uns gekommen ist.

Rekonstruktion des Kachelofens von der Burg Tannenberg von Hefner/Wolfs 1850

Aufgrund des Fehlens zeitgenössischer Abbildungen in Kombination mit dem völligen Verschwinden sämtlicher Öfen, auch im archäologischen Befund, bieten sich als Ansatzpunkte für die Rekonstruktion die Kachelfragmente selbst an. Dies erkannten bereits Joseph von Hefner und Johann Wilhelm Wolf in ihrer im Jahre 1850 erschienenen Publikation der Grabungsbefunde und -funde von der Burg Tannenberg.3 Ihre Ofenrekonstruktion fußt, wie auch die späteren Visualisierungen, auf der Analyse von Kacheln der zweiten Dieburger Werkstattphase. Bei Hefner/Wolf ist ein kubischer Feuerkasten mit einem sich konisch nach oben verjüngenden Oberofen kombiniert. Der gesamte Ofenkörper ist flächendeckend mit reliefierten Halbzylinderkacheln besetzt.

Zum besseren Verständnis der räumlichen Dimension des Ofenkörpers erwies es sich als unerläßlich, diesen in eine dreidimensionale, computergestützte Animation zu übertragen. Beide Umsetzungen, sowohl die Zeichnung als auch die Computeranimation, haben ihre Vor- und Nachteile. Bei einer Zeichnung lassen sich mit dem zur Verfügung stehenden graphischen Instrumentarium und durch die Wahl des Betrachterstandorts sichere Ableitungen aus den zugrundeliegenden Befunden und Funden hervorheben. Schwachstellen in der Rekonstruktion sind hingegen leicht zu kaschieren. Der Forscher gibt ein Drehbuch vor. Die Möglichkeiten der Einbindung von Änderungen während der Visualisierung sind begrenzt. Die computergestützte Modellierung setzt sich aus dem additiven Aufbau einzeln entwickelter Segmente zusammen. Die diesem zugrundeliegenden Polygone (Mesh) erlauben es nur bedingt, das feinteilige Kachelrelief in der Schärfe wiederzugeben, wie dies in einer Zeichnung möglich wäre. Die vergleichsweise zeit- und damit kostenintensive Arbeitsweise gibt dem Materialanalytiker und dem Modelldesigner die Möglichkeit der permanenten Visualisierung und Weiterentwicklung sowohl des einzelnen Moduls als auch der Gesamtform. Ist ein Modell erstellt, lassen sich dessen Module in Alternativentwürfe einbinden.

Bei der hier vorgestellten hypothetischen Rekonstruktion eines Ofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg wurde mit dem Programm Blender ein kubischer Körper konstruiert4 und dessen Vorderseite mit Idealrekonstruktionen der dazugehörigen Ofenkacheln besetzt. Das nun zum Tragen kommende Mißverhältnis von Feuerkasten und Oberofen führte im ersten Schritt zum Weglassen des untersten Polygons des Oberofens. Gleichzeitig erwies es sich als sinnvoll, den ausladenden kubischen Feuerkasten erheblich zu verkürzen. Der Verbesserung der Visualisierung diente ein Besatz des Oberofens mit jeweils als dreidimensionale Einzelkörper gebildeten Ofenkacheln. Auf die Wiedergabe des Reliefbesatzes wurde verzichtet. Die Vorsatzblätter auf den Kacheln lassen lediglich das dem Bildaufbau zugrundeliegende übergeordnete Gliederungssystem erkennen. Unterschiedlich eingefärbt gibt die Ofenkeramik mit ihrem Schattenwurf eine gute Vorstellung von der Binnenstruktur der keramischen Körper im Einzelnen und in ihrer Addition. Der aus allen erdenklichen Perspektiven betrachtbare und beleuchtbare Ofen stellt an den Bearbeiter zusätzliche Anforderungen. So sind die Übergänge des Ofenlehms ebenso neu zu überdenken wie das Modellieren der Kuppel des Oberofens.

Bei der in zahlreichen Zwischenschritten generierten Visualisierung erhielt der Feuerkasten eine weiß getünchte Oberfläche. Einer der Vorschläge war die Erhöhung des Ofenlehms der Abdeckplatte des Feuerkastens. Im weiteren Fortgang wurden die Dreiecksgiebel auf den Halbzylinder- und Kranzkacheln zur besseren Erkennbarkeit mit genasten Dreiecken ausgestattet. Die letzte Stufe der Optimierung des Modells zeichnet sich dadurch aus, dass die Drehkörper der in den Feuerkasten integrierten Napfkacheln plastisch aus der Wandung hervortretende Drehrillen erhielten. Die Oberflächen der Kacheln wurden zusätzlich zu ihrer Farbgebung mit einem glänzenden Überzug ausgestattet. Im Oberofen waren die mit reliefierten Kacheln Typ Tannenberg besetzten Polygone bislang direkt übereinander angeordnet. Um die Kacheln auch an ihren Ober- und Unterkanten besser in Ofenlehm einzubetten, wurde zwischen die einzelnen Zeilen jeweils ein etwa zwei cm hoher Steg aus außenseitig gekalktem Lehm eingefügt. Die statisch notwendige Änderung des Aufbaus, der sich im archäologischen Kontext in Partenstein auch durch entsprechende Ofenlehmfragmente belegen läßt, gibt der Außenhülle des Oberofens zusätzlich eine horizontale Strukturierung.

Entwicklungsstufen der dreidimesionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimesionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimesionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimesionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimesionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimesionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimesionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimesionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Entwicklungsstufen der dreidimensionalen Visualisierung eines Kachelofens mit Kacheln vom Typ Tannenberg

Rekonstruktion eines Kachelofens mit Ofenkacheln Typ Tannenberg von der Burg Bartenstein, Dieburg, Ende 14. Jahrhundert

Das auf diese Weise optimierte Modell wurde zum besseren Verständnis des übergeordneten Zusammenhangs in eine Bohlenstube eingestellt. Das zuvor entwickelte, in Teilen baugleiche Gehäuse hatte sich in seiner Struktur als unzureichend erwiesen. Daher wurde die Stube von Grund auf neu modelliert. Als Ausgangsbasis diente ein 2011/12 ergrabener Raum in der Südwestecke des Erdgeschosses des Palas der Burg Wildenstein.5 Der Aufbau der Bohlenstube orientiert sich an etwa zeitgleichen Vergleichsbeispielen in Franken, Hohenlohe und Schwaben.6

Rekonstruktion einer Bohlenstube mit einem Kachelofen vom Typ Tannenberg

Bei all diesen Gestaltungsoptionen geht es nicht alleine darum, den Ofen in seiner Gesamtheit auch für den Nicht-Fachmann optimal zu veranschaulichen. Die Modelle können als Ausgangsbasis für die Erhebung von belastbaren Daten für eine Vielzahl weiterer Fragestellungen herangezogen werden. Dazu zählen neben der Energieeffizienz und der thermischen Belastung der Einzelkacheln oder von Segmenten des Ofens auch die Verteilung der Wärme in dem Zimmer, in dem der Ofen einst stand. Solche Ofenmodelle können darüber hinaus als Planungsgrundlage des experimentellen Nachbaus eines Ofens vom Typ Tannenberg herangezogen werden.

© Harald Rosmanitz, Partenstein 2022


Weiterführende Literatur:

Bedal, Konrad (1994): Wohnen im hölzernen Gehäus´. Zur Geschichte, Verbreitung und Bedeutung der Bohlenstube in Süddeutschland. In: Albrecht Bedal; Isabella Fehle (Hg.): Hausgeschichten. Bauen und Wohnen im alten Hall und seiner Katharinenvorstadt (Kataloge des Hällisch-Fränkischen Museums Schwäbisch Hall 8), Sigmaringen, S. 93–128.

Elsenheimer, Jürgen (2020): „Menzcher kacheln“. Ofenkacheln meist originär aus dem mainzischen Dieburg. Ein Beitrag zur Geschichte des Kachelofens im Allgemeinen vom 12. bis 16. Jh. mit Schwerpunkt auf gotischen Kacheln und Öfen aus den mittelalterlichen Verbraucherregionen Südwestdeutschlands und seiner Randgebiete. (masch. Manuskript), Mainz.

Enders, David; Rosmanitz, Harald (2015): Tatort Burg. Die Ausgrabungen auf der Burg Wildenstein. In: Beiträge zur Archäologie in Ober- und Unterfranken 9, S. 317–352.

Hallenkamp-Lumpe, Julia (2006): Studien zur Ofenkeramik des 12. bis 17. Jahrhunderts anhand von Bodenfunden aus Westfalen-Lippe (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 42), Mainz.

Hefner, Joseph von; Wolf, Johann Wilhelm (1850): Die Burg Tannenberg und ihre Ausgrabungen, Frankfurt am Main.

Lohrum, Burghard; Bleyer, Hans-Jürgen (1984): Notizen zum Bauen und Wohnen im ausgehenden Mittelalter (1). Dargestellt an südwestdeutschen Hausbauten. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes 13 (3), S. 96–103.

Lohrum, Burghard; Bleyer, Hans-Jürgen (1988): Notizen zum Bauen und Wohnen im ausgehenden Mittelalter (4). Raumutzungen und Grundrißvariationen. Dargestellt an südwestdeutschen Hausbauten. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes 17 (1), S. 30–37.

Stephan, Hans-Georg (1991): Kacheln aus dem Werraland. Die Entwicklung der Ofenkacheln vom 13. bis 17. Jahrhundert im unteren Werra-Raum (Schriften des Werratalvereins Witzenhausen 23), Witzenhausen.

Tauber, Jürg (1980): Herd und Ofen im Mittelalter. Untersuchungen zur Kulturgeschichte am archäologischen Material vornehmlich der Nordwestschweiz (9. – 14. Jahrhundert) (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 7), Olten/Freiburg i. Br.

  1. Stephan 1991, S. 28-30
  2. Tauber 1980, S. 378-380. Demgegenüber ist auf ebenerdige Ofenbefunde zu verweisen (Soest, Kloster Paradiese (Fst.-Nr. 91) Hallenkamp-Lumpe 2006, S. 52, Mainz Elsenheimer 2020, S. 48-50).
  3. Hefner/Wolf 1850, Taf. 9.1
  4. Ich danke Sabrina Bachmann, Heimbuchenthal für ihre Bereitschaft, sich in das Programm Blender einzuarbeiten und den technischen Teil der Modellierung zu übernehmen.
  5. Enders/Rosmanitz 2015, S. 326, Abb. 5
  6. Bedal 1994; Lohrum/Bleyer 1984; Lohrum/Bleyer 1988