Ein himmlischer Gruß … auf einer Ofenkachel
Von einer zweiteiligen Verkündigungsdarstellung haben sich auf der Burg Bartenstein lediglich Reste mehrerer Halbzylinderkacheln mit der Darstellung des Verkündigungsengels erhalten. Von diesem Motiv waren mindesten vier Exemplare in Öfen verbaut. Bei dem am besten erhalten Relief der Bildfolge fehlen die obere rechte Ecke und die linke untere Bildhälfte. Das Vorsatzblatt dieser Kachel ist zweifarbig glasiert. Das Innenfeld weist einen gelben, der Rahmen einen grünen Überzug auf.
Eine Vervollständigung des Motivs ist mit einer Kachel von der Burg Bosenstein bei Ottenhöfen möglich.1 Aus diesem Fundkomplex stammt auch ein Relief mit Maria, dem Gegenstück zum Verkündigungsengel.2 Beide Innenfelder sind in annähernd identische Rahmen eingebunden.
Der kniende Verkündigungsengel im Innenfeld des Bartensteiner Kachelreliefs befand sich ursprünglich zu Rechten, der ebenfalls knienden Maria. In seiner Rechten hält der Engel ein mehrfach in sich verschlungenes Schriftband. Auf ihm sind in gotischen Minuskeln die Worte ave maria zu lesen. Der Engel ist mit Ausnahme der federbesetzten Flügel, die seinen Kopf hinterfangen und des mit einem Kreuz bekrönten Stirnbands als weltliche Person wiedergegeben. Er trägt einen ausladenden, in zahlreiche Falten gebrochenen Mantel, aus dem sein unbekleideter rechter Fuß hervorschaut. Charakterisieren die Flügel den Knieenden als Engel, so ist der mit einem Kreuz besetzte Stirnreif in der englischen Hierarchie als der eines Erzengels zu werten.
Der englische Gruß wird im Schlußstein der das Innenfeld rahmenden, mit einem losen Tauband besetzten Arkade in Form des Besatzes mit dem Buchstaben „a“ aufgenommen.3 Die Büste eines bärtigen Mannes4 im linken und die Sonne im rechten Bildzwickel vervollständigen die Szene. Zwickelbesatz und Inschrift im Bogenscheitel sind sowohl ikonographisch als auch formal ganz auf die Verkündigungsszene im Innenfeld ausgerichtet.
Verkündigungsdarstellungen, ob nun ein- oder zweiteilig, als eigenständiges Relief oder als Element einer vielteiligen Folge, durchziehen in mannigfachen Varianten die Besätze auf reliefierter Ofenkeramik, und das sowohl räumlich wie auch zeitlich.5 Für die Burg Bartenstein ist eine oberrheinische Ausprägung von Belang, die in Form maßwerkbesetzter, großformatiger Halbzylinderkacheln auch Eingang in monumentale spätgotische Ofenkonzepte in Erfurt6 und Köln7 fanden. Nach ihrer Erstpublikation wird sie als „Typ Bosenstein“ bezeichnet.8
Halbzylinderkacheln mit einer solchen doppelteiligen Verkündigungsserie waren nach bisheriger Kenntnis, abgesehen von dem unsicheren Fundpunkt Salzburg,9 weitgehend am Oberrhein verbreitet. Für die räumliche Zuordnung spricht auch der Produktionsnachweis in Form von Befunden, Modeln und Kacheln in Töpfereien in Durlach, in Esslingen sowie in Neuenburg am Rhein.
Die zweiteilige Verkündigungsdarstellung entzieht sich einer genaueren zeitlichen Zuordnung. Das weitverbreitete Bildmotiv dürfte auf eine immer wieder abgewandelte Bildidee des Meisters von Flémalle (tätig ca. 1410 bis 1440) zurückgehen. Sie wurde vom Meister E. S. mehrfach modifiziert.10
© Harald Rosmanitz, Partenstein 2022
Weiterführende Literatur:
Bauer, Delphine (2018): La céramique de poêle en Alsace (XIV-XVIIe siècle). Sociétés, arts, techniques, Mulhouse.
Blümel, Fritz (1965): Deutsche Öfen. Der Kunstofen von 1480 – 1910. Kachel- und Eisenöfen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, München.
Gruia, Ana-Maria (2013): Religious representations on stove tiles from the medieval kingdom of Hungary, Cluj-Napoca.
Lappe, Ulrich (2003): Ein Fund mit spätgotischen Ofenkacheln aus der alten Universität in Erfurt. In: Alt-Thüringen 36, S. 206–224.
Pillin, Hans-Martin (1990): Kleinode der Gotik und Renaissance am Oberrhein. Die neuentdeckten Ofenkacheln der Burg Bosenstein aus den 13.-16. Jahrhundert, Kehl.
Rosmanitz, Harald (1994): Die Ofenkeramik aus der Burg Rötteln. Die Bestände in der Ausstellung. (masch. Manuskript), Karlsruhe.
Schmauder, Michael; Roehmer, Marion (Hg.) (2019): Keramik als Handelsgut. Produktion – Distribution – Konsumption (Bonner Beiträge zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie 23), Bonn.
Tamási, Judit (1995): Verwandte Typen im schweizerischen und ungarischen Kachelfundmaterial in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Vergleichsuntersuchungen zu den Werkstattbeziehungen zwischen dem oberrheinischen Raum und Ungarn (Müvészettörténet-Müemlékvédelem VIII), Budapest.
Unger, Ingeborg (1988a): Das Kölner Kachelbäckerhandwerk vom 14. Jahrhundert bis um 1600. In: Joachim Naumann (Hg.): Keramik vom Niederrhein. Die Irdenware der Düppen- und Pottbäcker zwischen Köln und Kleve (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums 4), Köln, S. 187–205.
Unger, Ingeborg (Hg.) (1988b): Kölner Ofenkacheln. Die Bestände des Museums für Angewandte Kunst und des Kölnischen Stadtmuseums, Köln.
Unger, Ingeborg (1991): Ein Kachelbäcker und ein Kachelfund aus der Kölner Kartause. Peter Kachelbecker und sein trauriges Schicksal. In: Werner Schäfke (Hg.): Die Kölner Kartause um 1500. Aufsatzband, Köln, S. 345–358.
Wegner, Martina (2018): Durchlauchtige Frauen und sieghafte Helden. Reformationsthematik auf frühneuzeitlicher Ofenkeramik aus Leipzig. In: Joachim Müller (Hg.): Archäologie des Glaubens. Umbrüche und Konflikte (Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 31), Paderborn, S. 115–122.
- Pillin 1990, S. 34-35, Kat.-Nr. 3
- Pillin 1990, S. 36-37, Kat.-Nr. 4
- Hans-Martin Pillin schloß sich dieser Deutung nicht an. Er sieht in der gotischen Minuskel „a“ der Rahmung die Signatur des „Meisters a“ (Pillin 1990, S. 34-35).
- Jean-Paul Minne sprach die Person als Jesaia an (Wegner 2018, S. 302).
- Bauer 2018, Bd. 2, S. 204-209; Gruia 2013, S. 188-199; Wegner 2018, S. 297-303; Rosmanitz 1994, S. 61-73, Kat.-Nr. 7; Tamási 1995, S. 44-48
- Lappe 2003
- Unger 1988a, Taf. 16; Unger 1988b, S. 88-89, Kat.-Nr. 57; Unger 1991, S. 348, Abb. 83
- Pillin 1990, S. 34-37, Kat.-Nr. 3-4. Delphine Bauer weist die Ausprägung in ihrer Kategorisierung als Typ 1 aus (Bauer 2018, Bd. 2, S. 204-209).
- Die Zuweisung der beim Kunsthändler Strauss erworbenen Serie nach Salzburg geht auf Fritz Blümel zurück (Blümel 1965, S. 21).
- Schmauder/Roehmer 2019, Bd. 2, Abb. 8-13