Von Wappen und Speichenrädern – die Kacheln vom Typ Tannenberg

3D-Modell des Fragments einer Halbzylinderkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt Typ Tannenberg mit mit Wappenschilden über Speichenrädern von der Burg Bartenstein, Untermain, vor 1400, Partenstein, Burg Bartenstein, Partenstein, Museum Ahler Kram, Fd.-Nr. 1394, H. 14,5 cm, Br. 18,1 cm

Die Charakterisierung des Kacheltyps „Tannenberg“ erfolgte anlässlich der Publikation der Grabungsergebnisse der Burg Tannenberg bei Seeheim-Jugenheim im Jahre 1850 durch Joseph Hefner und Johann Wilhelm Wolf.1 Formal handelt es sich um Halbzylinderkacheln mit vertikalem Halbzylinder. Die Kacheln sind nach der im Jahre 1399 zerstörten Burg Tannenberg bei Seeheim-Jugenheim an der Bergstraße benannt.2 Ein Gutteil der Kacheln vom Typ Tannenberg wurde in Dieburg gefertigt.

3D-Modell des Fragments einer Halbzylinderkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt Typ Tannenberg mit mit Wappenschilden über Speichenrädern von der Burg Bartenstein, Untermain, vor 1400, Partenstein, Burg Bartenstein, Partenstein, Museum Ahler Kram, Fd.-Nr. 1704, H. 11,2 cm, Br. 11,8 cm
3D-Modell des Fragments einer Halbzylinderkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt Typ Tannenberg mit mit Wappenschilden über Speichenrädern von der Burg Bartenstein, Untermain, vor 1400, Partenstein, Burg Bartenstein, Partenstein, Museum Ahler Kram, Fd.-Nr. 1148, H. 14,7 cm, Br. 19,2 cm

Die Alleinstellungmerkmale des Typus sind das reliefierte Vorsatzblatt mit genastem Dreiecksgiebel sowie die stark stilisierten Reliefs in den beiden daran anschließenden, oberen Zwickeln. Bereits Hefner/Wolf wiesen dem Typus formal ähnliche Kranzkacheln mit giebel- oder zinnenförmigen Abschlüssen zu.3 Ein mit solchen Kacheln bestückter Ofen konnte noch weitere reliefierte Keramiken aufweisen, beispielsweise Wärmefächer. Das Formenspektrum der Halbzylinderkacheln vom Typ Tannenberg lässt sich über den Abfall der Dieburger Töpfereien vom Fuchsberg und vom Minnefeld erschließen.4 Die Vorsatzblätter wie auch ein Gutteil des angesetzten Drittelzylinders der Kacheln sind gelb oder grün glasiert.

Die Halbzylinderkacheln vom Typ Tannenberg sind in ihrer Grundstruktur weitgehend einheitlich ausgebildet. Sie unterscheiden sich durch den Dekor in ihren oberen beiden Zwickeln voneinander. Die Verzierungen gaben Anlass für die Forschungen von Heinz-Peter Mielke (1977),5 Antje Kluge-Pinsker (1986),6 Astrid Schmitt-Böhringer (2008),7 Gerald Grimm (2009),8 Peter Prüssing (2013)9 und Jürgen Elsenheimer (2020).10 Der Autor der vorliegenden Ausarbeitung nahm sich im Jahre 2015 des Themas an.11

Neben rein ornamentalen und floralen Dekoren sind bei Kacheln vom Typ Tannenberg als Reliefs in den Zwickeln reale oder imaginäre Tiere außerordentlich beliebt. Die Spannbreite reicht bei der Fauna von Vögeln, Hasen, Hirschen und Löwen bis zu Einhörnern und Drachen. Eine weitere, sehr umfangreiche Motivgruppe machen heraldische Besätze mit oder ohne Wappenschilde aus. Figürliche Darstellungen bilden eher die Ausnahme.12

Wie eine Kartierung der Fundstellen bezeugt, lieferten die Dieburger Töpfer ihre Ofenkeramiken in erster Linie an zu bis zu 50 Kilometer entfernt liegenden Orten. Ihre Kachelprodukte deckte ein ein Areal von etwa 2000 km2 ab.

Verbreitung der Halbzylinderkacheln Typ Tannenberg; Legende: rot: Kachelofenstandort; blau: Produktionsstandort

Markstein für die Datierung der Dieburger Kachelerzeugnisse vom Typ Tannenberg ist die Eroberung und Zerstörung der namensgebenden Burg Tannenberg im Jahre 1399.13 Sie liefert einen ersten terminus ante quem. Ein vergleichbares Typenspektrum aus der 1383 zerstörten Burg Bommersheim14 unterstreicht die Bedeutung, die dem Kacheltyp in den 1380er und 1390er Jahren im Rhein-Main-Gebiet zuzumessen ist. Funde entsprechender Kacheln von den 1405 niedergelegten Bugen Hauenstein und Mömbris im Kahlgrund, im Bereich des 1414 abgerissenen Rathauses an der Westseite des Doms in Frankfurt am Main,15 aus dem letzten Zerstörungshorizont der 1437/38 niedergelegten Burg Mole bei Heimbuchenthal16 sowie von der 1460 abgegangenen Schauenburg bei Dossenheim17 legen einen Nutzungszeitraum von mindestens 90 Jahren nahe.

Die hier vorgestellten Halbzylinderkacheln vom Typ Tannenberg von der Burg Bartenstein weisen Wappenschilde auf. Solche heraldischen Signaturen ermöglichen eine Individualisierung der reliefierten Vorsatzblätter. Dies gilt nicht nur für die Wappen, sondern auch für Speichenräder.18 Aufgrund des Verzichts auf den Schildhintergrund ist das Motiv des Speichenrades in seinen ganz unterschiedlichen Spielarten zwischen Signet des Erzbistums Mainz und Ornament anzusiedeln. Karl-Heinz Mielke und in der Folge Antje Kluge-Pinsker sahen in den Speichenrädern das Markenzeichen einer Töpferei beziehungsweise einer Gruppe von Töpfern.19 Wenn auf der Burg Bartenstein bei Partenstein 32,93 % der von dort stammenden Kacheln des Typs Tannenberg mit Speichenrädern besetzt sind,20 lässt dies durchaus aufmerken. Das Vorherrschen dieses Dekors im Vergleich zu Wappenschilden (14,63 %) ist auffällig. Seit 1333 war die Burg als Ganerbenburg im Besitz der Grafen von Hanau und des Erzbischofs von Mainz. Letzterer errichtete in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf den Fundamenten des hochmittelalterlichen rieneckschen Palas ein repräsentatives Wohngebäude. Die Häufung der Kacheln vom Typ Tannenberg im Umfeld des Mainzer Baues lässt in vorliegendem Fallbeispiel kaum Zweifel an einer bewußten heraldischen Plazierung des Speichenradmotivs.

Zur Feinchronologie der Wappenbesätze zieht Gerald Volker Grimm die unterschiedlichen Schildformen heran.21 Sie reichen von den Dreieckschilden über die unter französischem Einfluß stehenden halbrunden Schilde bis zu den seit dem 15. Jahrhundert gebräuchlichen tartschenförmigen Wappenschilden. Dreieckschilde und – wie in vorliegendem Fall – tartschenfömige Schilde sind für die Burg Partenstein belegt. Die Schildfiguren sind vergleichsweise einfach ausgebildet. Sparren, schrägrechte oder schräglinke, geschachte Balken und Diagonalrauten bestimmen den heraldischen Besatz. Eine Zuweisung der Wappen zu einem Herrschergeschlecht erweist sich als problematisch. Die Dieburger Töpfereien waren zu jener Zeit durchaus in der Lage waren, feinteilige und individuell zugeschnittene heraldische Bildprogramme zu entwickeln. Das Gros der Wappenbesätze auf Kacheln des Typs Tannenberg, auch diejenigen von der Burg Bartenstein, entzieht sich jedoch einer Deutung. Die Verschneidung heraldischer Motive mit Ornamentalem war möglicherweise vom Motivgeber beabsichtigt. Es dürfte darum gegangen sein, mit der Fiktion eines heraldischen Programms den Ofen bewußt in die Nähe jener Öfen mit heraldisch individualisiertem Bildprogramm zu stellen, um ihn damit in seiner Wahrnehmung aufzuwerten.

© Harald Rosmanitz, Partenstein 2022


Literaturverzeichnis

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Schmitt-Böhringer, Astrid (2008): Burg Tannenberg bei Seeheim-Jugenheim, Lkr. Darmstadt-Dieburg. Eine spätmittelalterliche Ganerbenburg im Licht der archäologischen Funde (Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 151), Bonn.

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  1. Hefner/Wolf 1850, S. 85-87
  2. Schmitt-Böhringer 2008, S. 121-134
  3. Roth-Heege spricht in diesem Zusammenhang von Bekrönungskacheln mit aufgeschnittenem Blatt (Rosmanitz 2012, S. 292).
  4. Prüssing 2003; Prüssing 2013
  5. Mielke 1976/77
  6. Kluge-Pinsker 1986
  7. Schmitt-Böhringer 2008
  8. Grimm 2009
  9. Prüssing 2013
  10. Elsenheimer 2020
  11. Rosmanitz 2015
  12. Brenker 2021, S. 75, Abb. 33
  13. Hefner/Wolf 1850.
  14. Friedrich et al. 1993, bes. S. 485f
  15. Strauss 1972, S.16¸Lauffer 1903, S. 111
  16. Rosmanitz 2010
  17. Strauss 1972, S.16
  18. Mielke 1976/77
  19. Kluge-Pinsker 1986, S. 162; Mielke 1976/77, S. 152-153
  20. Bei den Ausgrabungen auf der Burg Bartenstein in den Jahren 2004 bis 2009 sowie 2016 und 2017 (Thier/Peine 2014; Schäfer 2011) wurden 246 Fragmente von Kranz- und Halbzylinderkacheln vom Typ Tannenberg geborgen und in FurnArch erfasst. 81 dieser Fragmente sind mit Speichenrädern besetzt (32,93 %). 36 Fragmente weisen Wappenschilde auf (14,63 %)
  21. Grimm 2009, S. 224-229; Loskotová 2013, S. 73-74