Schönheit mit Stacheln – Eine Rose auf einer spätmittelalterlichen Ofenkachel

3D-Modell des Fragments einer Halbzylinderkachel mit geschlossenem Vorsatzblatt mit Rose mit von Bögen überfangenen Dreipässen von der Burg Bartenstein, Untermain, letztes Drittel 15. Jahrhundert, Partenstein, Burg Bartenstein, Partenstein, Museum Ahler Kram, Fd.-Nr. 1035, H. 17,2 cm, Br. 18,2 cm

Aus dem Fundgut der Burg Bartenstein stammen zwanzig Fragmente von Halbzylinderkacheln mit geschlossenen Vorsatzblättern, deren Schauseite eine Rose zierte. Von einem dieser Fragmente hat sich annähernd das gesamte Kachelrelief erhalten.

Fragment einer Halbzylinderkachel mit geschlossenem Vorsatzblatt mit Rose mit von Bögen überfangenen Dreipässen von der Freudenburg, Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, H. 18,7 cm, Br. 19,2 cm

Die Rose nimmt den zentralen Teil des Bildfelds für sich in Anspruch. Ihr kugelig vorgewölbter, noppenbesetzter Fruchtstand ist umringt von zwei ineinander verschachtelten Ringen von jeweils fünf Blütenblättern. Zwischen den äußeren Blättern treten die lanzettförmigen Spitzen des Blütenkelchs hervor. Das Innenfeld ist von einem runden Medaillon umschlossen und wird seinerseits von schmalen, glatten Halbstäben flankiert. Das Medaillon ist mit einem Fries aus fünf von Bögen überfangenen Dreipässen besetzt. Die genasten Spitzen von diagonal nach außen weisenden Lanzettfenstern in allen vier Zwickeln greifen die architektonische Formensprache des Medaillons auf. Ein schmaler, glatter Halbstab leitet über zu einer einfach gekehlten, quadratischen Rahmenleiste.

Die Kombination der Rose mit dreipaßbesetzten Zwickeln ist eine Sonderausprägung des Motivs der Rose in rundem Medaillon mit diagonal nach außen weisenden, breitlappigen Blättern. Letzteres erfreute sich in der Spätgotik europaweit größter Beliebtheit. Die Deutung der Rose mit ihren fünf Blütenblättern als mittelalterliche Heilpflanze ist unumstritten. Ihren Weg auf Kachelreliefs fand das Rosengewächs als Versinnbildlichung von Maria und der Passion. Die fünf Blütenblätter werden in der christlichen Heilslehre mit den fünf Wunden Christi gleichgesetzt, die ihm bei der Kreuzigung zugefügt wurden.1 Bildfüllende Rosen auf Ofenkacheln gab es bereits im 14. Jahrhundert.2 Als künstlerische Kulminationspunkte des Motivs sind für die 1460er bis 1480er Jahre der Oberrhein, Schwaben, die Schweiz und Ungarn zu benennen.3 Das Bildthema blieb im gesamten letzten Drittel des 15. Jahrhunderts populär.4 Es ist unklar, ob die spätgotische Rose aus schweizerischen Kachelreliefs des 14. Jahrhunderts weiterentwickelt oder andernorts vollständig neu konzipiert wurde.

Die Forschung hat sich intensiv des Themas angenommen. Besonders zu verweisen ist auf die 1995 erschienene Dissertation von Judith Tamási.5 Weitere Informationen sind den Arbeiten von Stephan Karl (1996),6 Eva Roth Heege (1999)7 und Christian Ronnefeld (2017)8 zu entnehmen. Für die Region von Interesse ist die Studie zu den spätgotischen Kacheln von der Burg Wertheim (2012).9

Verbreitung von Kachelreliefs mit Rose mit von Bögen überfangenen Dreipässen
Legende: rot: Kachelofenstandort; blau: Produktionsstandort

Die Kombination des Rosenmotivs mit über Eck geführten Blattkacheln mit diamantschnittbesetzten Quadern als Besatz des kubischen Feuerkastens, wie sie Roth Heege 2004 in ihren hypothetischen Ofenrekonstruktionen visualisierte, erschließt sich aus zahlreichen Befundvergesellschaftungen innerhalb des Verbreitungsraums.10 Das einmal gefundene Dekorationskonzept wurde kontinuierlich rezipiert und dürfte zwischen 1440 und 1520 Bestand gehabt haben.11 Leider konnte für die Burg Bartenstein noch keine bossierte Eckkachel nachgewiesen werden.

Kacheln mit Rosenbesatz in der Art der Halbzylinderkacheln von der Burg Bartenstein sind für vierzehn Fundstellen im Rhein-Neckar-Raum, am Untermain und in der Nordschweiz belegt. Die Kacheln mit der Motivvariante in der Nordschweiz stammen durchweg aus dem Verbrauchermilieu. Für den Rhein-Neckar-Raum kann aufgrund des Werkstattabfalls einer Töpferei in der Feuerleitergasse in Ladenburg12 auch die lokale Produktion des Motivs als gesichert angenommen werden. In der Nordschweiz wurde die Rosenvariante durch den Auftrag von Zinnglasur aufgewertet. Die Stücke aus der Töpferei in Ladenburg sind, in Hinblick auf ihre Tiefe und Reliefschärfe besonders gut ausgebildet. Vieles spricht dafür, die Ursprünge dieser Modifikation des Rosenmotivs auf Ofenkeramik in der Nordschweiz zu verorten. Über den Ladenburger Töpfer und dessen Nähe zur Hofhaltung des Kurfürsten von der Pfalz könnte die Motivvariante ihren Weg an den Untermain gefunden haben.

© Harald Rosmanitz, Partenstein 2022


Weiterführende Literatur:

Gross, Uwe (2017): Töpferei durch die Jahrhunderte. Beispiele aus Ladenburg und dem Lobdengau. In: Christoph Rinne; Jochen Reinhard; Eva Roth Heege; Stefan Teuber (Hg.): Vom Bodenfund zum Buch. Archäologie durch die Zeiten. Festschrift für Andreas Heege zum 60. Geburtstag, Bonn, S. 399–409.

Heege, Andreas (2010): Die Burg Hohenklingen ob Stein am Rhein. Band II: Adelsburg, Hochwacht, Kuranstalt – Forschungen zur materiellen Kultur (Schaffhauser Archäologie 9), Schaffhausen.

Heege, Andreas; Roth Heege, Eva (2008): Spätgotische Ofenkacheln aus dem Burgdorfer Schloss. In: Burgdorfer Jahrbuch, S. 9–20.

Holl, Imre (1998): Spätgotische Ofenkacheln. I. Werke einer mitteleuropäischen Ofenhafnerwerkstatt. II. Ein böhmischer Ofen am Ende des 15. Jahrhunderts. In: Acta Archaeologica 50, S. 139–214.

Karl, Stephan (1996): „Ungarische“ Ofenkacheln des späten 15. Jahrhunderts von der Burgruine Klingenstein in Salla, Steiermark. In: Fundberichte aus Österreich 35, S. 165–172.

Keller, Christine (2006): Die Funde. In: Reto Dubler (Hg.): Vom Dübelstein zur Waldmannsburg. Adelsitz Gedächtnisort und Forschungsobjekt (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 33), Basel, S. 92–142.

Loskotová, Irena (2011): Brněnské kamnové kachle období gotiky. (masch. Diss.), Brno.

Minne, Jean-Paul (1977): La céramique de poêle de l’Alsace médiévale, Strasbourg.

Pillin, Hans-Martin (1990): Kleinode der Gotik und Renaissance am Oberrhein. Die neuentdeckten Ofenkacheln der Burg Bosenstein aus den 13.-16. Jahrhundert, Kehl.

Rabold, Britta; Gross, Uwe (2015): Von der Renaissance zur Römerzeit. Ausgrabungen in der Ladenburger Feuerleitergasse 10. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2014, S. 207–212.

Ronnefeldt, Christian (2017): Modelformen und Kachelfunde vom Augustusplatz in Leipzig. Katalog und Tafelteil. In: Christian Ronnefeldt (Hg.): Das Töpferhandwerk in der Grimmaischen Vorstadt in Leipzig. Funde und Befunde des 14. Jahrhunderts bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts vom Leipziger Augustusplatz. (masch. Diss.), Bd. 2.1, Bamberg.

Rosmanitz, Harald (2012): Das Jesuskind und die bärtigen Männer mit Zipfelmützen. Die spätmittelalterlichen Ofenkacheln von der Wertheimer Burg. In: Wertheimer Jahrbuch, S. 75–111.

Roth, Eva (1999): Bernische Ofenkeramik als Spiegel künstlerischen Auschtausches. In: Ellen J. Beer; Norberto Gramaccini; Charlotte Gutscher-Schmid; Rainer C. Schwinges (Hg.): Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt, Bern, S. 416.

Roth Heege, Eva (2004): Die Funde vom Stadtplatz in Aarberg. In: Daniel Gutscher; Adriano Boschetti (Hg.): Archäologie im Kanton Bern. Fundberichte und Aufsätze (Schriftenreihe der Erziehungsdirektion des Kantons Bern), Bern, S. 163–272.

Roth Kaufmann, Eva; Buschor, René; Gutscher, Daniel (1994): Spätmittelalterliche reliefierte Ofenkeramik in Bern. Herstellung und Motive (Schriftenreihe der Erziehungsdirektion des Kantons Bern), Bern.

Schmaedecke, Felicia (2011): Das Kloster Mariazell auf dem Beerenberg bei Winterthur. Neuauswertungen der Ausgrabungen 1970 – 1972 im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 38), Basel.

Schnyder, Rudolf (2011): Mittelalterliche Ofenkeramik. Bd. 2: Der Züricher Bestand in den Sammlungen des Schweizerischen Nationalmuseums, Zürich.

Stelzle-Hüglin, Sophie (1999): Von Kacheln und Öfen. Untersuchungen zum Ursprung des Kachelofens und zu seiner Entwicklung vom 11.-19. Jahrhundert anhand archäologischer Funde aus Freiburg im Breisgau (Freiburger Dissertationen 8), Freiburg i. Br.

Tamási, Judit (1995): Verwandte Typen im schweizerischen und ungarischen Kachelfundmaterial in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Vergleichsuntersuchungen zu den Werkstattbeziehungen zwischen dem oberrheinischen Raum und Ungarn (Müvészettörténet-Müemlékvédelem VIII), Budapest.


  1. Heege 2010, S. 125; Keller 2006, S. 115-116; Loskotová 2011, S. 93-96; Pillin 1990, S. 92-95, Kat.-Nr. 28-29; Tamási 1995, S. 19
  2. Roth Kaufmann et al. 1994, S. 109-110, Kat.-Nr. 21-25; Schnyder 2011, S. 22-31, Kat.-Nr. 18-28; Stelzle-Hüglin 1999, Taf. 28
  3. Holl 1998; Tamási 1995, S. 23-24
  4. Minne 1977, S. 63-65; Pillin 1990, S. 92-95, Kat.-Nr. 28-29; Schnyder 2011, S. 280-294, Kat.-Nr. 227-234
  5. Tamási 1995, S. 19-30, S. 103-108
  6. Karl 1996, S. 165-167
  7. Roth 1999, S. 416
  8. Ronnefeldt 2017, S. 81-89
  9. Rosmanitz 2012, S. 88, Abb. 10
  10. Roth Heege 2004, S. 202, Abb. 45; Heege/Roth Heege 2008, S. 19, Abb. 5, rezipiert von Schmaedecke 2011, S. 139, Abb. 156
  11. Für den Untermain ist als terminus ante quem auf die Zerstörungshorizonte des Bauernkrieges zu verweisen, u.a. auf das Niederbrennen des Prioratshauses auf dem Gotthardsberg, in dem ein entsprechender Ofen stand (Rosmanitz 2012, S. 90).
  12. Brych 2012; Rabold/Gross 2015