Zwischen Masse und Klasse – Die „Nürnberger Standardkacheln“ der Renaissance
Modelgepresste Kacheln mit glatten Feldern ohne Binnenstruktur sind in spätgotischen und frühneuzeitlichen Befundkomplexen häufig anzutreffen. Die vorliegende Betrachtung ist einer Ausprägung dieser Verzierungsart gewidmet, die auf der Burg Bartenstein ergraben werden konnte. Die Innenfelder sind als glatte, einziehende Zylindersegmente gebildet.1 Oben und unten sind schräg zur Bildmitte weisende, glatte Flächen platziert. Die Kanten am Übergang zwischen Zylinder und Kappen betonen die Tiefenwirkung der modelgepressten Reliefs. Ein schmaler, glatter Halbstab trennt das Innenfeld von der Rahmenleiste, die sich ihrerseits aus einer glatten Kehle und einem glatten Halbstab zusammensetzt.
Trotz ihrer schlichten Grundstruktur lassen sich zahlreiche Varianten von Kacheln mit glatter Nische unterscheiden. Ihre Grundform kann sowohl hochrechteckig als auch quadratisch sein. Die beiden horizontalen Abschlüsse der Nischen ziehen zur Bildmitte hin ein. Variationsmöglichkeiten ergeben sich aus der Rahmengestaltung. Bei einem Gutteil der Stücke handelt es sich um Blattkacheln. Das modelgepreßte Vorsatzblatt kann auch, wie bei der Burg Bartenstein, auf Halbzylinderkacheln mit geschlossenen Vorsatzblättern aufgebracht sein. Die Stücke sind an ihrer Schauseite meist grünglasiert. Der Besatz findet sich darüber hinaus auch auf über Eck geführten Blattkacheln.
Der Kachelofen vom Pfarrhof von St. Sebald
Die Reste von zwei Öfen mit glatten Nischen wurden im Jahre 2017 im Sebalder Pfarrhof in Nürnberg ergraben. Einer davon dürfte weitgehend mit dem Ofen auf dem Holzschnitt „Die Spinnstube“ von Barthel Beham aus dem Jahre 1524 übereingestimmt haben.2
Ein Detail, das über zeitgenössische Darstellungen solcher Öfen, aber auch aus den Resten vom Sebalder Pfarrhof erschlossen werden konnte, hilft bei der Rekonstruktion eines entsprechenden Ofens auf der Burg Bartenstein weiter: Der Töpfer schichtete nicht Zeile um Zeile gleichgroße Kacheln übereinander. Vielmehr konnten ganz unterschiedliche Formate eines ansonsten gleichartigen Dekors im Ofenkörper Raum greifen.
Öfen, die mit Blattkacheln mit glatten Nischen besetzt waren, dürften in vielen Lebensbereichen, sowohl in privaten als auch in öffentlichen, gestanden haben. In der „Guten Stube“, im Wirtshaus, in der Spinnstube oder im Badehaus sorgte ein solcher Kachelofen für die gewünschte Raumtemperatur. Wie am Holzschnitt von Barthel Beham zu erkennen ist, waren diese Öfen mit Ofenbänken und Trockengestellen umbaut.
Die Visualisierung
Als Vorlage für die Ofenrekonstruktion mit Kacheln mit glatten, einziehenden Innenfeldern diente der Kachelofen auf dem Holzschnitt „Die Spinnstube“ aus dem Jahr 1524. Die deutlichsten Bezüge zwischen dem Grubenbefund und dem Holzschnitt ergeben sich aus den stirnseitigen Ecken des Feuerkastens. Insbesondere ist hier auf den Besatz der Kanten mit zwei tordierten Stäben zu verweisen. Auf dem schwarzweiß gehaltenen Holzschnitt war es nicht möglich, die Farbimpulse, die sich aus den Fundstücken ableiten ließen, in Szene zu setzen. So fehlen auf der Graphik von Barthel Beham die polychromen Wappenbesätze mit Adlern. Reste des auf die Glasur aufgetragenen Bolus können auf den Eckstäben der über Eck geführten Blattkacheln als Indiz dafür gewertet werden, dass diese ursprünglich teilweise vergoldet waren.
Der auffälligste Unterschied zwischen Holzschnitt und virtuellem Ofenmodell ergibt sich aus der Dimensionierung des Ofens. Mit einer Gesamthöhe von 190 cm ist der im Fundgut des Pfarrhofs von St. Sebald belegte Ofen deutlich niedriger zu rekonstruieren als der in der „Spinnstube“ stehende, dessen Höhenerstreckung dort annähernd 250 cm betragen haben müßte. Barthel Beham sah sich zu wesentlichen Abänderungen eines realen Raumes gezwungen, um die vielfigurige Szene in dem von ihm gewählten Raumgehäuse unterzubringen.
Die Verbreitung des Motivs
Das gehäufte Vorkommen von Blattkacheln mit glatten Nischen auf Nürnberger Zeichnungen, Holzschnitten und Kupferstichen hat bereits Konrad Strauss 1966 dazu veranlasst, die Motivgruppe als „Muldenkacheln Nürnberger Art“3 zu bezeichnen. Die Verbreitung war keinesfalls auf den deutschen Südwesten beschränkt, sondern erstreckte sich im Norden bis an die Ostseeküste. Aus der Kartierung geht zudem hervor, dass sich zumindest in Süddeutschland der Nutzungsanteil in den Städten und Burgen in etwa die Waage hielt.
Die zeitlose aber ansprechende Form der Einzelkachel war in einen modular aufgebauten Ofen integrierbar, der sowohl eine funktionale als auch eine repräsentative Aufgabe zu erfüllen hatte. Der Befundkontext spricht dafür, dass das Motiv vor allem in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts genutzt wurde. Über zeitgenössische Darstellungen kann die Zeitspanne zwischen 1497/98 und 1582 als gesichert gelten. In diese Zeit fallen die Zerstörungen der Burg Drachenfels in der Pfalz (1523) und der Wildenburg bei Kirchzell (1525). In beiden Burgen standen Öfen mit Blattkacheln mit glatten Nischen. Noch im Schutt der 1635 zerstörten Schaumburg im südthüringischen Schalkau-Sonneberg lagen Teile eines Ofens, der mit solchen Kacheln besetzt war.
In der Schlichtheit liegt die Klasse
Kacheln mit glatt einziehenden Innenfeldern sollten aufgrund der ihnen innewohnenden Schlichtheit keinesfalls am unteren sozialen Ende des Verbrauchermilieus verortet werden. Der Kachelfund von der Burg Bartenstein ist nicht als Understatement zu verstehen, dessen Wurzeln in der neuen konfessionellen Ausrichtung der Burgbewohner zu suchen wäre. Vielmehr stellen solche Kacheln mit ihren glatt einziehenden Nischen gerade wegen ihrer Schlichtheit höchste Ansprüche an das handwerkliche Können. Schon die Stringenz von Kanten, Graten und Einzügen forderte für sich genommen vom Töpfer ein Höchstmaß an Kunstfertigkeit. Jeder Fabrikationsfehler, von der Aufbereitung des keramischen Rohstoffs bis zum homogenen Glasurauftrag, war an der fertig gebrannten Kachel und später im Gefüge des Ofens leicht erkennbar. Gleiches gilt für verzogene Kanten und allzu starke Größenunterschiede.
Der eigentliche Reiz, welcher der Addition der gleichförmigen Dekorelemente innewohnt, ist im Trompe-l´œil-Effekt zu suchen. Dabei verwandeln sich die Nischen von der Ferne aus gesehen in aus dem Ofenkörper vorstehende Zylindersegmente. Mit den bewußt unterschiedlich dimensionierten Kacheln lassen sich zusätzliche optische Effekte in Form von perspektivischen Kürzungen oder Längungen erzielen. Damit fügt sich die Raumheizung ideal in ein früh- und hochrenaissancezeitliches Dekorsystem ein, das in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Nürnberg in der Architektur und auch in der Inneneinrichtung mehr und mehr an Bedeutung erlangte.
© Harald Rosmanitz, Partenstein 2022
Weiterführende Literatur:
Franz, Rosemarie (1981): Der Kachelofen. Entstehung und kunstgeschichtliche Entwicklung vom Mittelalter bis zum Ausgang des Klassizismus. 2. verb. u. verm. Aufl., Graz.
Hoffmann, Yves (1992): Ofenkacheln vom 15. bis 17. Jahrhundert. In: Wolfgang Schwabenicky (Hg.): Das Sattlersche Haus – die sogenannte Kaserne. Ein hervorragendes Beispiel bürgerlicher Kultur in Mittweida (Veröffentlichungen der Kreisarbeitsstelle für Bodendenkmalpflege Mittweida 2), Mittweida, S. 59–76.
Rosmanitz, Harald (2013): Wohlige Wärme in der Residenzstadt. Meininger Kachelgeschichte(n). In: Mathias Seidel (Hg.): Spiegel des Alltags. Archäologische Funde des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus Meiningen, Meiningen, S. 57–71.
Strauss, Konrad (1966): Die Kachelkunst des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland, Österreich und der Schweiz. I. Teil., Straßburg.